3. September 2018, Ortstermin in Warnau im Kreis Plön: Vier Männer posieren für die Kamera und werfen wie kleine Jungs in einem sehr großen Sandkasten den Inhalt ihrer vollen Schäufelchen in die Höhe. Doch das Bild trügt: Zu sehen ist ein symbolischer Spatenstich für den Ausbau der B404 zur Autobahn A21 Richtung Kiel. Ein Spatenstich mit schon etwas älteren Herren für die Mobilität der Vergangenheit.
Einer der Beteiligten, der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Bernd Buchholz, wird tags drauf in den Kieler Nachrichten sinngemäß zitiert, dass die Landeshauptstadt endlich in die Puschen kommen solle, sich auf eine Variante zur Anbindung der A21 zu einigen. Gemeint ist damit unter anderem die Südspange Kiel Gaarden, die seit über 40 Jahren durch die Kieler Kommunalpolitik geistert.
Einmal Westküste und zurück
Gut zwei Wochen später und knapp 150 Kilometer nordwestlich: In Westerland freut sich Moritz Luft, Geschäftsführer der Sylt Marketing Gesellschaft, dass innerhalb von nur zwei Monaten über 42.844 Menschen eine Petition für den zweigleisigen Ausbau der sogenannten Marschbahn an der Westküste unterzeichnet hätten. Unzweifelhaft: Dort geht es um die dringendst nötige Überwindung teils skandalöser Zustände bei einem klimafreundlichen Verkehrsmittel mit Zukunft.
Zurück zur A21. Vor ein paar Tagen legte nun ein weiterer Beteiligter des Spatenstichs über das NDR-Fernsehen nach: Staatssekretär Enak Ferlemann aus dem CSU-geführten Verkehrsministerium in Berlin ließ Richtung Kiel verlauten, dass man schnell sein müsse und jetzt entscheiden solle. Und Verkehrsminister Buchholz stichelt, dass das Land bis 2021 keine Kapazitäten mehr für die Planung bereitstellen würde - da müsse Kiel schon selbst in Vorleistung treten. Danach wäre der Bund zuständig. Der Kieler OB Kämpfer wiederum findet in der gleichen Sendung, dass das Land oder der Bund mit dem Planen loslegen solle. Denn auch Kiel kann dafür keine Ressourcen dafür aus dem Ärmel schütteln.
Um die Absurdität aktueller Verkehrsplanung auf den Punkt zu bringen: Die dringend auszubauende Marschbahnstrecke ist nicht* [siehe Nachtrag] Bestandteil des "vordringlichen" Bedarfes des aktuellen Bundesverkehrswegeplans bis 2030. Eine vierspurige Südspange durch den Kieler Grüngürtel aber, deren Alternativlosigkeit nicht einmal von teuren Gutachten untermauert wurde, voilà: Vordringlicher Bedarf!
Ulf-Kämpfer-Fans bitte die folgenden drei Absätze beim Lesen auslassen
So sehr auch ein mögliches Durchatmen in Sachen Südspange bis 2021 auf den ersten Blick freut, umso skeptischer wird man, wenn man unserem Kieler OB im NDR-Interview zuhört. Nicht, dass man die Atempause nutzt, um sinnvollere Alternativen und eine nachhaltige Verkehrswende im Sinne von Klimaschutz und Lebensqualität aufs Gleis zu bringen. Stattdessen: "Wir warten dringend darauf, dass das [die Planung] mal losgeht ... Ich persönlich glaube, dass die Südspange die richtige [Variante] ist".
Wer im Frühjahr 2014 in der Hoffnung auf einen "grün angehauchten" Oberbürgermeister mit Faible für Verkehrswende und Stadtregionalbahn ("Superprojekt") bei Ulf Kämpfer sein Kreuz machte, wird sich mittlerweile bitter enttäuscht sehen. Das wird wohl nichts mehr. Beim "kleinen Dieselgipfel" im Februar fabulierte der OB eine Entlastungswirkung der Südspange für den westlichen Theodor-Heuss-Ring herbei ("Ich bin aber kein Experte"). Eine Stadtbahn? Da müsse man "in 10 bis 15 Jahren" drüber reden - vermutlich wird Markus Söder ("Bavaria One") schon vorher auf dem Mond gelandet sein. Im Sommer dann die einsame und recht populistische Ankündigung, am Falckensteiner Strand Gratisparken für Autos zu ermöglichen. Selbst Parteifreunde oder ehemalige Wahlkämpfer*innen schütteln mittlerweile den Kopf über den Kieler Verwaltungschef.
Bis zur nächsten OB-Wahl 2019, so ein Gerücht aus Richtung Rathaus, wolle Kämpfer keine "kontroversen" Themen auf die Agenda packen. Kurioserweise soll dazu ausgerechnet auch die Stadtbahn gehören. Selbst die Kieler Nachrichten verzichten in ihrer Berichterstattung mittlerweile auf das durchgängige Attribut "umstritten". Und auch bei jüngeren CDUlern, so hört man, scheint sich die Anti-Haltung, mit der man ja auch mehrere Wahlen teilweise krachend verloren hat, allmählich in konstruktiven Pragmatismus zu verwandeln. Bevor Kämpfer zur nächsten OB-Wahl bereits als Bettvorleger startet, um dann als gewählter Küchenlappen zu landen:
Kandidat*in mit mehr Mut & nachhaltiger Vision gesucht. Linkspartei + Die Partei + Piraten + Unabhängige?
Aber Entschuldigung - der Text ist gerade etwas wutbürgerlich entglitten ;-)
Wie also die mögliche Atempause bis 2021+x nutzen?
Alles in Bewegung setzen für einen Radverkehr wie in Kopenhagen oder Groningen. Alles in Bewegung setzen für einen komfortablen und bezahlbaren Nahverkehr wie in Wien oder Talinn - inkl Stadtbahn. Zielgerichtet dabei auch Alternativen entwickeln, die Arbeitnehmer*innen und Neubürger*innen im Kieler Süden bessere Mobilität ohne Auto ermöglichen. Infrastrukturen für digitalisierte, effektivere Mobilität bereits mitdenken, egal ob vernetzte Verkehrsangebote per App oder gar Mitfahr-Shuttles ("Ride-Sharing") ohne Steuerrad und Fahrer ("Autonomes Fahren"). Und die Kieler Hafenwirtschaft auf dem bereits eingeschlagenen Weg unterstützen, noch mehr Güter auf die Schiene zu bringen, um so Ostring und Innenstadt zu entlasten.
Und sich auch ehrlich machen und den Leuten klar sagen, dass sich die Welt in den letzten 40 Jahren geändert hat und ein "Weiter so" mit weiterer Flächenversiegelung - auch in Kiel - direkt in die Klimakatastrophe führt. Und dass die heute geborenen Kinder eine mögliche Hitzehölle im Jahr 2090 bereits miterleben werden.
Das alles ist besser und produktiver, als sich kleinlich darüber zu streiten, wem der Schwarze Peter dafür gebührt, dass veraltete Planungen ohne Zukunftsperspektive nur mit halbem Elan angegangen werden.
*Nachtrag: Am 6.11. ist die Marschbahnstrecke doch noch in den "vordringlichen Bedarf" des Bundesverkehrswegeplan aufgenommen worden. So schnell kanns gehen ...