Der Bundesverkehrswegeplan verfassungswidrig?!?
"Unseriös ... irgendein Gutachten vom BUND ..."
"Irgendein Lobbyverband kündigt irgendwas an"
"Ökospinner"
In den sozialen Medien waren sich die Fans automobiler Retro-Planungen weitgehend einig, das Rechtsgutachten im Auftrag des BUND ins Lächerliche zu ziehen oder als Gefälligkeitsgutachten abzutun. Darunter auch der Vorsitzende der hiesigen Kreis-FDP, MdL Dennys A. Bornhöft.
Und auch bei der Lokalzeitung Kieler Nachrichten schaffte es nur eine stark gekürzte Agenturmeldung in die Printausgabe, nicht aber die Pressemitteilungen der Akteure vor Ort. Was dazu führte, dass Leser*innen des Online-Angebotes der Süddeutschen Zeitung oder Zeit.de besser informiert waren über Hintergründe und mögliche Auswirkungen auf die Südspange Kiel für den Anschluss der A21.
(Ausschnitt von sueddeutsche.de)
Es ist zu hoffen, dass FDP und SPD bei den "Ampel"-Verhandlungen in Berlin ähnlich auf Durchzug schalten, was den desaströsen Bundesverkehrswegeplan (BVWP 2030) aus CSU-Feder angeht. Und dass kein wirklicher Kompromiss mit grünen Forderungen nach einem Autobahnbau-Moratorium zu Stande kommt.
WTF?!? ... doch der Reihe nach:
Am vergangenen Mittwoch stellte der BUND Bundesverband auf einer mit weit über 100 Teilnehmer*innen gut besuchten Online-Pressekonferenz ein von ihm in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten vor. Erstellt von der "Summa Cum Laude"-Verwaltungsrechtlerin Dr. Franziska Heß, die laut Vita u.a. Verkehrs- und Infrastrukturplanung als Fachgebiet hat.
Die Ergebnisse lassen sich vielleicht so zusammenfassen: Der sogenannte Bedarfsplan, der sozusagen die gesetzliche Grundlage für Bundesprojekte wie die Südspange ist, verstößt gegen EU-Recht, weil insbesondere Klimaauswirkungen nicht ausreichend berücksichtigt wurden ("SUP-Richtlinie").
Zudem ist der BVWP 2030 verfassungswidrig. Der Bezug ist Artikel 20a des Grundgesetzes. Wie bei der erfolgreichen, von Greenpeace unterstützten Klage vor dem Karlsruher Verfassungsgericht gegen das deutsche Klimaschutzgesetz durch die Pellwormer Backsen-Familiy:
"Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung."
(Art. 20a GG)
Da geht es beispielsweise darum, dass der "Bedarf" von Straßen-Projekten ausschließlich aus Gründen der (angeblichen) Wirtschaftlichkeit angenommen wurde, aber umweltschonende Alternativen unberücksichtigt blieben.
Es lohnt sich durchaus auch für juristische Laien, sowohl Pressemitteilung, Kurzzusammenfassung (pdf) oder sogar das komplette Gutachten (pdf, 29 Seiten) zu lesen. Sofern einem klimafreundliche Mobilität oder Erhalt von Natur am Herzen liegt. Nach der Lektüre besteht wenig Zweifel daran, dass Karlsruhe Bedarfsplan & Co kassiert, wenn der BUND klagen sollte.
Auch die möglichen Auswirkungen ("Rechtsfolge") auf Projektebene sind beschrieben. Also ganz konkret: was würde es für die 900 Bauprojekte inklusive Südspange Kiel bedeuten, wenn entweder ein EU-Gericht und/oder Karlsruhe im Sinne des Gutachtens entscheidet?
Relevanz für Südspange und A21? - Ja!
Im Falle der Südspange müsste die DEGES, die hier für den Bund plant, wohl eine völlig neue Abwägung und Prüfung von Alternativszenarien vorlegen, die eben konform sind mit Artikel 20a. Oder mit anderen Worten: Sollte die aktuelle Machbarkeitsstudie, deren Methodik & Inhalt bisher völlig intransparent ist, nicht auch solche Varianten prüfen, wie sie Umweltverbände und Klimagürtel-Bündnis vorgeschlagen haben, dann wäre die bisherige Planung vermutlich für die Tonne.
Und selbst wenn die recht abseitige Behauptung mancher Befürworter zutreffen würde, dass die "Verkürzung" von Wegen & Vermeidung von Staus die Südspange langfristig zu einem Klimaschutzprojekt macht: alleine der zeitliche Faktor steht schon dagegen. Denn das, was bis zu einer möglichen Fertigstellung 2035 erst einmal verbaut würde, ist massenhaft klimaschädlicher Beton auf CO2-bindenden Grünflächen. Nicht wirklich eine gute Idee bei begrenztem CO2-Budget, das 2026 schon erschöpft sein könnte ...
Aber im Grunde genommen könnte potenziell sämtlichen 900 Straßenbau-Projekten die Rechtsgrundlage entzogen sein. Das Wort "Bindungswirkung" im Zusammenhang mit dem BVWP 2030 kommt insgesamt 16 Mal im Gutachten vor. Jeder Textfund sieht für den juristischen Laien so aus, als würde es gar keinen Sinn machen, ein Planfeststellungsverfahren zu einem Ende zu bringen, wenn der Bedarf eines Projektes nur mit dem rechtswidrigen BVWP begründet wurde.
Gerne Korrektur per Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, sollte der Schreiber das allzu optimistisch interpretieren, dass die Südspange demnach auch juristisch ziemlich mausetot wäre - im Falle einer erfolgreichen Klage in Karlsruhe oder Luxemburg.
Für Projekte, die bereits "Baurecht" haben wie die A49 durch den Dannenröder Forst in Hessen, käme dies aber laut Aussage bei der erwähnten Pressekonferenz zu spät. Leider. Da wäre ein Stopp also ausschließlich eine politische Frage, so Rechtsanwältin Heß.
Doch was heißt das nun für die Politik?
Sollten sich SPD und insbesondere FDP bei den Ampelverhandlungen durchsetzen und der BVWP 2030 außer symbolischen Zugeständnissen gegenüber den Grünen im Großen und Ganzen unangetastet bleiben, dann wäre der BUND mit dem Klammerbeutel gepudert, würde er nicht klagen. Die Agenturmeldungen, dass der BUND keinen Gang nach Karlsruhe plane, verschweigen ein Detail bei der Antwort von Geschäftsführerin Antje von Broock auf die konkrete Journalistenfrage: das Wort "derzeit".
Sollten da aber zumindest die schlimmsten, sinnlosesten und teuersten Projekte wie A20, Heideautobahn A39 oder das Berliner 700-Millionen-Euro-Betonmonster (focus.de) A100 wegverhandelt werden: Der BUND oder andere wären vielleicht zufrieden mit dem Erreichten. Aber all die vergleichsweise kleinen Sünden wie A21-Ausbau oder Südspange blieben möglicherweise unberührt. Zumindest bis zur nächsten Bundestagswahl. Oder bis zur nächsten Extremwetter-Katastrophe in Deutschland.
Mit anderen Worten: Es gibt da die Chance, dass es zu einem Super-GAU für den Neubau von Bundesfernstraßen kommt, sollten SPD und FDP zu wenig Zugeständnisse machen und sich die Grünen über den Tisch ziehen lassen. Dieser Super-GAU wäre eine fantastische Nachricht für alle, die nicht weiter viel Geld & Ressourcen in fossiler Auto-Infrastruktur und sinnloser Naturzerstörung verschwendet sehen wollen. Egal ob es um Tyrannosaurier wie der A20 oder um die vielen Kleinfossilien wie der Südspange geht.
Und falls der BUND eine Klage nicht (alleine) stemmen könnte: Ein bundesweites Crowdfunding wäre sicher innerhalb kürzester Zeit erfolgreich. Und auch der abwiegelnd vom BUND genannte Zeitfaktor, dass ein Urteil (zu) lange brauche, ist für viele Projekte unerheblich: Mit einer fertigen Planfeststellung für die Südspange wäre beispielsweise sowieso erst 2028 zu rechnen.
Insofern hofft bielenbergkoppel.de, dass auch in Berlin auf FDP-Seite echte Profis am Verhandlungstisch sitzen, die sich lieber mit Slogans, Tweets & Postings beschäftigen als mit "irgendeinem" Gutachten.
(Screenshot von Facebook.de)