Dicke Luft in den Städten, drohende Fahrverbote, Klimaschutz. E-Autos als Alternative zum Verbrennungsmotor sind in aller Munde. Doch die wirkliche Revolution, die das kommende Jahrzehnt bringt, hat weniger mit der Antriebsart von Autos zu tun, sondern wer am Steuer sitzt: Niemand.
Steuerrad und Pedale fallen weg.
Die Konsequenzen werden ähnlich weitreichend sein wie der Aufstieg des Internets ab den 90ern oder die Vorstellung des ersten I-Phone im Jahr 2007 und unseren Alltag massiv verändern - auch in Kiel. Die Vorboten sind nicht nur im Silicon Valley, Helsinki oder Singapur auf den Straßen unterwegs, sondern demnächst möglicherweise auch in Nordfriesland, Wahlstedt oder Eutin.
Es sind nicht nur sämtliche großen Automobilkonzerne, die weltweit Milliarden in die Entwicklung autonomer Fahrzeuge investieren, sondern auch IT-Riesen wie Google, Apple, Intel, IBM oder Zulieferer wie Bosch oder Continental. Selbst die Deutsche Bahn mischt unter der Marke "ioki" mit. Die Vorhersagen, wann sich vollautonome, d.h. völlig auf ein Steuerrad verzichtende Fahrzeuge, durchsetzen werden, variieren je nach Prognose zwischen 2025 und 2040.
Was hat das mit der Südspange zu tun?
Neben einer ernsthaften Aufwertung des Kieler ÖPNV mit einer Tram und einem massiven Ausbau der Radinfrastruktur wie in Kopenhagen werden autonomer ÖPNV und geteilte Fahrzeuge langfristig großes Potenzial haben, Autos von der Straße zu holen. Und nicht nur woanders hin zu verlagern, wie bei der jetzigen Planung. Aber nur, wenns richtig gemacht wird und die Spielregeln im Sinne von Nachhaltigkeit und Klimaschutz festgelegt werden.

Wie selbstfahrende Autos die Verkehrsprobleme lösen sollen, Süddeutsche Zeitung, 12.5.17
Denn das grundsätzliche Problem ist folgendes: Wenn derzeit 1000 Menschen mit dem eigenen PKW zur Arbeit pendeln, so sind jetzt etwa 830 Autos unterwegs. Wenn sich nur 2 Pendler im Durchschnitt ein Fahrzeug teilen würden, so wären es nur 500 Fahrzeuge - 40% weniger. Eine aktuelle Studie unter der Beteiligung der TU München kommt beispielsweise für München zu der Prognose: 18 000 "Robotaxen" befördern dieselbe Personenzahl wie 200 000 private Pkw. Denkbar in einem Gesamtkonzept wäre, selbstfahrende Taxis zum großen Teil als "Zubringer" für andere Verkehrsmittel einzusetzen, ob Bahn, Tram, Bus oder Fähre.
Autonome, intelligente und vernetzte Autos auf Abruf werden es vielen Menschen ermöglichen, dass ein eigenes Auto verzichtbar und der Weg zur Arbeit stress- und staufrei wird. Nicht nur in den großen Städten, sondern gerade auch auf dem platten Land. Zudem eine Chance für Menschen mit eingeschränkter Mobilität in einer Gesellschaft, die älter wird.
Natürlich wird bis dahin noch Zeit vergehen. Aber auch eine Südspange würde vermutlich nicht vor 2029 gebaut werden und vor 2033 fertig sein. Von dem Fantasieprojekt Ostring II ganz zu schweigen.
Warum autonome Autos kommen
"Das automatisierte Fahren ist die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Automobils." - Skepsis ist angebracht, wenn ausgerechnet ein Ahnungsloser wie der ehemalige CSU-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt so eine Aussage trifft. Es spricht trotzdem einiges dafür, dass es so kommen wird.
Über 2,6 Millionen Verkehrsunfälle mit 300,000 Verletzten und über 3000 Toten in Deutschland im Jahr 2016. In den meisten Fällen verursacht durch menschliches Fehlverhalten. Späte Reaktion, immer häufiger auch durch Ablenkung durch das Smartphone. Regelübertretungen, Übermüdung, Alkohol am Steuer. Unfälle sind zudem eine Hauptursache für Staus. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass in nicht allzu ferner Zukunft Autos vom allzeit nüchternen und wachen Computer sicherer gelenkt werden - auch wenn bis dahin noch viele Probleme, auch rechtlicher Natur, gelöst werden müssen.

(3) Werden springende Kängurus die Revolution stoppen?
So testete Volvo in Australien Autonome Autos und hatte Probleme bei der sicheren Erkennung springender Kängurus. Auch wenn Känguru-Unfälle in der Kieler Innenstadt eher selten vorkommen, so würde ein menschlicher Fahrer mit großer Sicherheit unterscheiden können, ob eine Achtjährige unvermittelt im Känguru-Kostüm über die Andreas-Gayk-Straße springt oder ein echtes Känguru. Ein autonomer Volvo möglicherweise noch nicht. Aber der Volvo würde auch heute schon 100 Mal schneller reagieren und möglicherweise eine Kollision eher vermeiden können.
Das viele Geld investieren die Konzerne aber nicht primär wegen der Verkehrssicherheit oder gar um die Welt zu retten, sondern um auch in Zukunft Geld zu verdienen. Es geht unter anderem um den Aufbau von Taxi-Diensten nach dem Vorbild von Uber oder Lyft, die in Zukunft ganz ohne Fahrer auskommen sollen. Dabei geht es auch um die Einsicht, dass das eigene Auto an Bedeutung verlieren wird und enstprechend weniger Bedarf nach Neuwagen besteht.
Natürlich ist die Vorstellung, dass Autos ohne Steuer unterwegs sein werden, gerade für viele (ältere) autofahrende Deutsche (noch) völlig abwegig. So wie es einmal Kutschen ohne Pferde waren. Vom reitenden Kaiser Wilhelm II, ist folgendes Zitat überliefert: "Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung. Ich glaube an das Pferd."
Autonome Mobilität aktiv gestalten!
Im Abschlussbericht für den sogenannten Masterplan Mobilität für die Region Kiel vom August 2017 ist die Erprobung autonomer Kleinbusse bereits als Option zur "Kapazitätssteigerung im Verkehrssystem" genannt, wenn auch noch mit untergeordneter Priorität.
In Deutschland sind viele Pilotprojekte mit autonomen Shuttle-Bussen entweder in Planung oder bereits in Betrieb (unvollständige Liste). Warum nicht auch in Kiel? Zum Beispiel als Pendelverkehr während der Kreuzfahrtsaison zwischen Hauptbahnhof, Schwedenkai und Ostseekai/Kiellinie. Nicht nur, aber auch als Touristenattraktion. Aber in erster Linie als Transportmittel für Kreuzfahrtgäste und Passagiere der Stena-Line - auch wenn man natürlich Kreuzfahrten mittlerweile aus sehr guten Gründen kritisch sieht.
Insgesamt birgt der Umstieg auf autonome und vernetzten Verkehre aber neben enormen Chancen aber auch Risiken, die nicht zu unterschätzen sind. Selbst das Ziel, für weniger Verkehr zu sorgen, könnte sich ins Gegenteil verkehren: Wenn das Angebot an "Robotaxis" mit Bussen und Bahnen in Konkurrenz tritt und diese ersetzt. Schon heute zeigt sich eine Tendenz, dass Uber & Co auch für mehr Stau sorgen können, wenn man sie nahezu unreguliert einfach machen lässt. Und auch beim Datenschutz ist Wachsamkeit angebracht. Firmen wie Google oder Apple haben ein wirtschaftliches Interesse an "gläseren Passagieren". Öffentlicher Nahverkehr sollte aber der Allgemeinheit dienen und gehört nicht in die Hand von Konzernen wie Google, Uber oder Apple.
Die Diskussion über die autonome Mobilität wird in den kommenden Jahren von einem "Nischenthema" in den Fokus rücken, wenn aus den vielen Pilotprojekten in allen Teilen der Welt Regelbetrieb ohne "safety driver" wird. Seit Oktober 2018 dürfen in Kalifornien erstmals Autos ohne Fahrer auf öffentliche Straßen. Ursprünglich sollte zur Olympiade 2020 in Tokio bereits eine Flotte autonomer Taxis im Einsatz sein.
Politik und Gesellschaft sollten frühzeitig die Weichen stellen, dass dabei der Mensch im Mittelpunkt steht - und nicht Profitinteressen.
P.S.:
September 2019: Der Text ist überwiegend im Sommer 2017 entstanden. Das autonome Fahren ist mittlerweile kein Nischenthema mehr, sondern mitten in der verkehrspolitischen Diskussion angekommen. Und es zeigt sich nun teilweise auch eine recht unkritische Fortschrittsgläubigkeit, so als wäre autonome Mobilität "die" Lösung für alles. Auch als ungedeckter Scheck und billige Ausrede für die Zukunft, um zweifelsohne sinnvolle Mobilität wie schienengebundene Stadtbahnen zu zerreden. Beizeiten wird dieser Text aktualisiert werden.
Bildquellen:
Einleitungsbild, Autonomer Bus in Singapur, Marco Verch, flickr (CC BY 2.0)
Bannerbild, Autonomer Bus in Perth/Australien, gnangarra/wikimedia (CC BY 2.5 AU)
(2) Bosch / Daimler
(3) PanBK/Wikipedia (CC BY-SA 3.0)