Es ist manchmal ganz lehrreich, ein dummer Tourist zu sein.
So passiert es einem deutschen Fußgänger in Städten wie Kopenhagen oder dem niederländischen Groningen gerne, dass er Pedalisten vor den Lenker läuft, weil sich der vermeintliche breite Fußweg als Radschnellweg entpuppt.
Bei solchen Städten ist interessant, wie weit man mit Radverkehr kommt, wenn der politische Wille da ist und Mobilität nicht immer vom Auto her gedacht wird. Im Jahr 2016 wurden zum ersten Mal in Kopenhagen mehr Fahrten mit dem Rad als mit dem Auto gezählt. Bis zum Jahr 2025, so der Plan, soll der Rad-Anteil im Großraum Kopenhagen bei 50% liegen. Und in Groningen werden mittlerweile 61% aller Trips in die Innenstadt mit dem Rad erledigt.
Bei einem Anteil von nur 17% für das Rad und 43% für das Auto relativiert sich der Titel "Fahrradstadt Kiel" gewaltig. Wie auch beim ÖPNV gilt auch hier: Es ist viel Luft nach oben und Potenzial vorhanden, für echte Entlastung auf den Straßen zu sorgen, statt mit Scheinlösungen wie der Südspange Probleme zu verschärfen.
Manches positive wurde sicherlich auch schon in Kiel in die Wege geleitet wie z.B. der Ausbau einer alten Güterbahn zur Veloroute 10. Bezeichnenderweise dort, wo dem Autoverkehr kein Platz weggenommen werden musste. Es geht aber nur zäh vorwärts, als wenn noch nicht genug Druck im Reifen wäre. Und wie bei einer Tram oder Stadtbahn für Kiel gilt auch hier: Es muss mehr Druck gemacht werden!
Es wäre vermessen, hier ein fertiges Radverkehrskonzept aus dem Hut zu zaubern zu wollen, wenn Organisationen wie ADFC und VCD, Kieler Tretwerk e.V., eine Institution wie das Kieler Fahrradforum, die Initiative für den Radschnellweg auf dem Ostufer oder auch neue Bewegungen wie Critical Mass teilweise seit vielen Jahren an der Verbesserung des Radverkehrs arbeiten.
Aber auch als "normaler" Fahrradfahrer fallen einem täglich Missstände und Merkwürdigkeiten auf. Warum sucht man häufig vergebens freie Fahrradbügel um Umkreis des Sophienhofs oder des (städtischen) Holstein-Stadions - während weiterhin Parkhäuser gebaut werden, wo stehende Autos exklusiven Fördeblick genießen können? Warum kostet die Mitnahme von Rädern im Zug und auf den Fähren extra? Warum brauch man teilweise bei der Baustellen in der City anscheinend ein Radel-Diplom, um die Verkehrsführung zu verstehen? Von handtuchbreiten oder zugeparkten Radwegen und Schutzstreifen entlang von Hauptstraßen, die im Nirgendwo enden, ganz zu schweigen.
Diese Aufzählung ließe sich endlos erweitern. Es bleibt viel zu tun.
Im Blog:
Südspangenplanung und Radverkehr: Im Zickzack nach Süden [8.1.18]
Bildnachweise
Einleitungsbild, (ehemaliger) Fahrrad-Parkplatz am Bahnhof Malmö, bielenbergkoppel.de, CC BY-SA 4.0
Bannerbild oben: Kristopher Trolle, flickr , CC BY 2.0
Bild rechts: "On the Schutzstreifen to nowhere", Segeberger Landstraße in Kiel , bielenbergkoppel.de, CC BY-SA 4.0